„Was bleibt mir denn übrig?“ – „Nicht viel und deshalb nur eins.“

Du musst aufpassen

Es ist ein schleichender Prozess.

Es beginnt ganz harmlos.

Und steigert sich.

Bis alles anders ist als gedacht.

Und nur noch ein mattblinder Nebel deine einst leuchtenden Dollar-Augen umwölkt.

Du fühlst dich ausgenutzt, missverstanden; wie ein amateurhafter Johnny-Depp über den Tisch gezogen.

Wie konnte es so weit kommen?

Du hättest aufpassen sollen (ich hab´s dir gesagt).

Du hast es vermasselt

Jep, und vor allem hast du etwas verwechselt.

Doch nun, wo deine einst gigantomanisch anmutende, grandiose Gala-Gage geschreddert und zerfleddert, wehr- und glanzlos vor dir liegt, abgenagt wie ein Hyänen-Snack in der Serengeti, ist es zu spät.

Aber zum Glück nur für den Moment.

Du kannst es besser machen, das nächste Mal, jederzeit.

Du bist Künstler. Selbstverständlich. Gut!

Aber du warst blind vor lauter Künstlersehnsucht.

Sehnsucht danach, dich auszudrücken, in Erscheinung zu treten, zu musizieren, zu konzertieren, zu improvisieren, zu komponieren, zu solieren…

Sehnsucht nach einer Bühne, einem Podium für dich und das, was du liebst; einem Forum, dem du das Ergebnis deiner harten Arbeit, deine Expertise, dein Wachstum präsentieren kannst; einem wertschätzenden Publikum, dem du deine Seele öffnest.

Das willst du, das brauchst du so sehr.

Auch gut.

Nur jetzt nicht.

Nur hier nicht.

Weil…, du wirst es nicht gerne hören, aber:

Das alles interessiert bei einem Job wie diesem keine müde Sau

Hier bist du die Bio-Jukebox, ein Kostenfaktor, Ambiente. Und es ist grad wurscht, ob es du oder jemand anders macht.

Der nimmermüde Klangforscher, der sich mit rasiermesserscharfer Machete, geschmiedet aus Beharrlichkeit, eisernem Willen und unstillbarer Neugier, unbeirrbar seinen Weg durch einen Dschungel aus Tensions und Chromatic Approaches, Bebop-Scales und Upper Structure-Dreiklängen, Bird Blues und Coltrane Changes, „4 gegen 3“ und „Werder gegen Gladbach“ bahnt, der selbst komponiert, Killer-Songs und -Texte am Start hat, also so einer wie du, er gilt hier: exakt gar nichts.

Es könnte auch überhaupt nichts sein, da will ich mich nicht festlegen.

Denn dies ist die Welt, wo dich 19-jährige Team-Assistentinnen im Businesskostüm mit Blick auf´s Clipboard / Tablet (aufgeregt, denn sie sind in charge) instruieren:

„Ok. Also Sie sind bitte ab 20:35 stand by, um 20:57 dann einen Titel zum Start, eher so was Flottes, bis 21:00, ok?. Ok. Dann kommt die Begrüßung durch Herrn Dr. Müller-Bregwitz bis 21:07, danach dann 3 Titel, aber nicht so laut, weil die Leute fangen da an zu essen, ok? Ok. Zwischen Vorspeise und Hauptgang haben Sie Pause, da können Sie dann auch was essen oder trinken, wenn Sie wollen, weil da in die Lücke rein kommt dann der Feuerschlucker…, oder, Moment… (raschel, raschel bzw. swipe, swipe), nein, erst die Limbo-Show, der Feuerschlucker kommt nach der ersten Tanzrunde, aber die beginnt ja dann erst ab 23:25, ok? Ok. Und Sie denken daran, dass Sie für die Limbo-Show Ihre Instrumente kurz zur Seite räumen müssen? Hatten wir am Telefon schon besprochen, ja? Ok?“

Ok.

Jetzt dämmert es, oder?

Genau: Du verhandelst nicht über ein Konzert.

Du verhandelst über eine musikalische Dienstleistung.

Willkommen im Reich der Kommerz-Gigs aller Art

Hallo

  • Gala- und Showbands landauf, landab
  • Golfclub- und Kreuzfahrt-Musikanten auf den Grüns und Meeren dieser Welt
  • TV-Jingle-Bands und Daily-Soap-Komponisten von ARD bis MDR
  • Alleinunterhalter und Elvis Impersonators, wo immer ihr seid
  • Stehgeiger und Background-Pianisten in der Villa am Starnberger See (bei der Geburtstags-Party von Privatklinikchef Prof. Dr. von Weitem)

Servus

  • Hochzeits- und Barpiano-Jobs
  • Vernissagen- und Kaufhaus-Gigs
  • Oktoberfest- und Bierzelt-Engagements

Ein herzliches „Grüß Gott“ allen

  • Firmen- und Weihnachtsfeiern
  • Messen und Trauungen
  • Silvesterpartys und Empfängen
  • Brasil- und Gourmet-Shows
  • Floßfahrten und …

Und wo ist das Problem?

Mit den Jobs: kein Problem.

Wo dann?

Dort, wo deine Künstlerseele statt ein*e Geschäftsmann*frau über eine Dienstleistung verhandelt.

Hallo! Ein bisschen weniger verzärteltes Künstler-Weichei, ein bisschen mehr „Wolf of Wall Street“ ist angesagt, wenn du hier mitmischen willst.

Denn allzu oft geschieht das hier:

Da hast du also eine gute bis sehr gute Gage für deinen Kommerz-Gig ausgehandelt, bravo, das ist ein wunderbarer Start.

Doch das Böse ist immer und überall

Ein paar Tage später meldet sich nämlich der Veranstalter, z. B. mit etwas wie:

  • 3 Tanten, 2 Neffen und die beste Freundin der Braut wollen als Überraschungs-Darbietung eine lustig umgedichtete Arie aus einer Verdi-Oper („Davon haben wir Noten aus dem Internet, alles super aufgeschrieben“) und 2 Popsongs („Da haben wir nichts, aber das gibt’s auf YouTube und ist alles ganz einfach, kennen Sie eh“) zum Besten geben.
    „Ich denke, das können Sie doch bestimmt mit übernehmen, wo wir schon einen so tollen Pianisten wie Sie vor Ort haben.“ (Schmeichel, schmeichel…)
  • „Es wäre schön, wenn der Pianist auch schon zum Empfang spielt, also wenn die Leute rein kommen. Die Band fängt dann wie vereinbart eine Stunde später mit der Dinnermusik an.“
  • „Der DJ lässt fragen, ob er eure Anlage mit benutzen darf. Bei seiner ist die Endstufe kaputt, er bekommt sie so schnell nicht repariert.“ (Ihr seid bis 0:30 gebucht, der DJ bis 3:00, ihr müsstet also so lange mit dem Abbauen warten.)
  • „Bei der Trauung in der Kirche kann doch sicher ihr Pianist auch die 4 Kirchenlieder begleiten, dann müssen wir nicht extra den Organisten dazu buchen, hier sind schon mal die Lieder: Nun danket alle Gott, … … …“
    Ja, so danket ihm…
  • Nach dem letzten Set. Brautvater, leicht alkoholisiert: „Mei, supa, Bursch´n, supa Band – obwohl: Am Schluss seid´s a bissl in´n Jazz nei kemma, aber wurschd. Auf jeden Fall gebt´s jetzt no amoi so richtig Vollgas, gell.“
    Weil: Es wäre ja erst Viertel nach Eins, erst jetzt würde es so richtig gemütlich („griabig“) und überhaupt wären ja auch noch so viele Gäste da.
  • Showtime ist 21:00. Per Email die Mitteilung: „Der Aufbau für die Band wurde aus organisatorischen Gründen von der Messeleitung von 17:00 auf 11:00 vorverlegt. Sonst bleibt alles wie besprochen.“
  • „Warten Sie, ich schau mal… Also, Fahrtkosten und Übernachtungsspesen für die Musik sind hier jetzt eigentlich in der Kalkulation nicht vorgesehen.“ (Der Spielort liegt 375 km entfernt, Aufbau und Showtime s. o.)
  • „Was, ihr habt einen Sänger? Herr Blaschke hat gesagt, er möchte unbedingt eine Sängerin. Na ja, das ist dann natürlich auch doof für euren Sänger, nicht? Vielleicht könntet ihr ja einfach zusätzlich eine Sängerin dabei haben, wie wär denn das?“
    Bestimmt super…
  • „Ich hab jetzt doch noch mal nachgefragt: Also für die Gage von eurem Gospeltrio haben wir hier letztes Jahr einen ganzen suuuper Gospelchor bei uns in der Kirche gehabt, die haben ganz schön losgefetzt…“
  • „Was? Dann kostet die Band ja mehr als der DJ!“

So, das muss reichen. Ist alles so oder ganz ähnlich passiert (und ich wette, nicht nur in meinem Umfeld).

Was haben diese Wendungen gemeinsam?

Na klar: Bei jeder einzelnen muss dein Business-Buzzer anspringen und dich – mööp, mööp, mööp – vor drohender Gagen-und Selbstrespekts-Erosion warnen.

Denn wenn du dazu immer nur Ja und Amen sagst und nicht nachverhandelst bzw. bestimmte Dinge nicht schon im Vorfeld vertraglich regelst, bedeutet das alles entweder einen erheblichen unvergüteten Mehraufwand, oder es bedeutet das Gewähren durch nichts gerechtfertigter Rabatte.

Rabatte, die nicht, wie üblich, du als Verkäufer, sondern – ein Wunder, ein Wunder! – der Kunde beschließt.

Ja, geht´s noch!

Starte deine Verhandlungen in aufrechter (Geistes-) Haltung: Nicht du bettelst um einen Auftritt, sondern dein Verhandlungspartner braucht Musik. So schaut´s aus.

Du bist das Angebot auf seine Nachfrage. Nicht umgekehrt.

Ich sag´s mal völlig unromantisch:

Für weisungsgebundenes Musizieren gelten, wie überall im Handel, „Geschäftsbedingungen“

Auch allgemeine, aber vor allem DEINE.

Jeder zahlt ohne mit der Wimper zu zucken einen Aufschlag auf den Grundpreis für

  • Express-Lieferungen und Einschreiben
  • das Hotelzimmer mit Bergblick statt zur Straße raus
  • den Blockbuster in 3D und mit Überlänge
  • die Semmel mit Mohn, die Brezel mit Käse, den Opa mit Hut (Häh?)

Und völlig klar ist auch, warum

  • an der Tankstelle Super-Plus mehr kostet als Super
  • das Sauna-Tagesticket mehr als das für 3 Stunden
  • Bio-Eier mehr als die aus der Legebatterie
  • und Steinway-Flügel mehr als Bio-Eier

So, und du verkaufst Musik

Du kannst Rabatte gewähren, auch erhalten kleine Gimmicks hier und da eine gute Geschäftsbeziehung, sicher.

Aber, mal ehrlich: Erwartest du von der Frau an der Kasse, dass sie selbstverständlich das Sauna-Tagesticket zum 3-Stunden-Preis rausrückt? Und drohst du ihr, sonst in eine andere Sauna zu wechseln?

Oder wie wär´s mit: „Lieber, guter Tankwart, bitte tu mir doch den Gefallen, wo ich ja auch gerade schon ganz viel Benzin bei dir getankt habe: Noch 10 Liter Super zum Diesel-Preis in den Reservekanister, ok?“

Ok?

Ich denke, ich kann mich jetzt zurück ziehen, den Rest machen du und dein Hirn selber.

Denkt mal drüber nach, ihr 2…

Fazit: Ich für meinen Teil bin dankbar für jeden Gig…

…der deshalb nicht zustande kommt, weil ein Bandleader auf den bei uns üblichen Handelskonditionen und angemessenen Gagen für (Kunst-) Handwerker-Fachkräfte besteht.

TOD DER SALAMI-TAKTIK!

Ach ja: Salami-Taktik. Meine prägende Erfahrung damit breite ich im nächsten Quartal an dieser Stelle aus. Wenn du hinschaust, auch direkt vor dir.

Es kommen ein Theater und Mohnsemmeln darin vor…

Jetzt bist du super-duper-gespannt, ist mir schon klar.

Sorry dafür. Mit den Wochen wirst du lernen, deine täglichen Verrichtungen auch ohne die Hand, an deren Fingernägeln du ab jetzt vor Aufregung knabberst, auf die Reihe zu bekommen.

Ich glaub an dich.


Bildnachweis

BirgitH / pixelio.de


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Das gute Künstlerleben – so kriegst du's hin (Teil 3/3)
Der Brötchen-Brief: Musik für lau? Zeig deine Grenze!

Volker Giesek

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