Du hast ein Gehirn

BÄM! Gleich mal ein Treffer, und ich weiß noch mehr über dich:

Du hast Ideen. Viele. Neue. Oft.

Du liebst „Projekte“, du setzt sie um.

Am liebsten chinesisch, nach dem Motto: „Wenn nicht jetzt, Wan Tan?“.

Ich bin Kalauer-König, Musiker und Blogger.

Du bist ein Kreativ-Junkie, gib es zu.

Nur noch übertroffen vom größten, vom unermesslichsten aller Kreativ-Junkies, von GOTT!

Aber du bist diffus unzufrieden und mit dir selbst im Unreinen.

Du fühlst dich getrieben, unkonzentriert, ohne Fokus?

Nun, wie bei so vielen Problemen des Lebens, findest du auch zu diesem Rat im Buch der Bücher.

Bekanntlich heißt es dort schon im Klappentext:

„Und BLOGVATER sprach: Fürchte dich nicht, denn siehe, du bist nicht allein. Sind doch die Beladenen, die da einem falschen Heiland huldigen, ohne Zahl. Sie wissen nicht mehr, was gut und böse ist und stellen sich gegen sich selbst und ihre eigene Natur und werden solcherart krank an Seele und Gebein. – Hm…, so ich es mir recht überlege: Fürchte dich doch!“

Als Kreativ-Junkie ist Fantasie natürlich eines deiner „Core Features“.

Gut, denn dann bist du bereit für ein kleines Gedankenspiel:

Was wäre, wenn Gott für den Ruhm nicht auf Sintflut, 7 Plagen und seinen Sohn, sondern auf Social Media gesetzt hätte?

Würde es die Menschheit geben, wenn Gott auf Facebook gewesen wäre?

„Wow, cool, 3 neue Likes für Tag und Nacht, schauen wir mal, von wem… Ha! Das war ja sowas von klar, Buddha, Allah und Zeus, die üblichen Verdächtigen, die scheinen nur auf geile Posts von mir zu warten, haben ja auch nichts Besseres zu tun als hier abzuhängen… und schau, Zeusinger hat sogar kommentiert: ,Tag sieht aus, als hättest du da sowas wie’n Permablitz am Start, so cooool, flasht mich ⚡️😎👍.‘ … Ja, ja, da kannst du nicht mithalten in deinem verranzten Olymp, ist mir schon klar, wahrscheinlich zerfrisst dich insgeheim der Neid… Warte, was ist denn das? ,Du hast 4 bevorstehende Veranstaltungen‘, soso, hab ich die…? Ach ja, na gut, zu Schöpfung für Dummies: Sonne, Mond und Sterne – ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt muss ich hin, sonst geht das in die Hose am 4. Tag… Für was braucht’s denn jetzt schon wieder mein Passwort, HERRGOTT noch mal!?!? …Hm, irgend etwas stimmt nicht mit diesem Fluch, ich spüre es…  Egal jetzt, kann warten, war eh nur ein Prototyp…, also das Passwort, aber zum letzten Mal, verdammtes Portal, oh warte: …Mal – Portal, Portal – Mal, das klingt… interessant, irgendwie besonders… ich, äh, werde es „Reim“ nennen… wollen mal sehen, was da noch so geht… Mal – Portal – … Wal! … Wal, pfff, keine Ahnung, was das sein könnte, ich werde bei Gelegenheit was schöpfen. Später. Hier kommt erstmal das bescheuerte Passwort, also, alles groß, keine Zwischenräume, B-I-G-B-A-N-G……“ usw., usf..

Ganz ehrlich, bis zur Erschaffung des Menschen wäre Gott nicht vorgedrungen.

Zu viel Ablenkung.

Geht es dir ähnlich?

Mir schon.

Wieviel Lebenszeit habe ich nicht schon verplempert, um zu entscheiden, welcher für meinen Post der coolste unter den gefühlt 5000 Instagram-Filtern ist!

Wieviel von unserer Kreativität ist schon in die Erstellung und Pflege einer Facebook-Bandpage geflossen? Aber ach, „Deine Fans haben schon eine ganze Weile nichts von dir gehört. Poste einen Beitrag“. Anstatt das als massiv übergriffig zu empfinden, haben wir ein latent schlechtes Gewissen…

Da stimmt was nicht.

So googelst du stundenlang nach Inspiration für deine nächste PR-Aktion, lässt dich von Dampfplauderern auf Youtube zuschwallen, die alle mit meterlanger Pinocchio-Nase beteuern, dein Erfolg sei ihre Mission und buchst am Ende mit wachsender Verzweiflung eines der vielen „Selbstmarketing für Musiker“-Seminare, die allerdings nie von Musikern gehalten werden, deren Musik man auch kennt (merkwürdig, Watson, sehr merkwürdig…).

Ohnehin hast du den Eindruck, nichts davon ist wirklich nachhaltig.

Teufel, wie kann das alles so wirkungslos verpuffen, wo du doch mit den zur Verfügung stehenden Social Media- und Marketingtools potentiell 42 Millionen Menschen mit Internet-Anschluss allein in Deutschland und knapp 3 Milliarden weltweit erreichen kannst?

Und diese Werkzeuge virtuos einsetzt, ich weiß, du machst alles richtig

In Promo-Wonderland

Sicher streamst du deine Proben längst über Facebook und Youtube live zu deinen Fans, damit sie an der Entstehung eures Repertoires teilhaben können. Du lässt die Crowd per Voting entscheiden, welcher der vorletzte Akkord in der Bridge eures neuen Songs sein soll und fragst auf der Facebook-Fanpage nach interaktiv per Video einzureichenden Vorschlägen für‘s Intro. Eine pure Selbstverständlichkeit sind Instagram-Posts aus dem Sprinter während der Fahrt zum Konzert: von deinen schlafenden Bandkollegen sowie diversen Raststätten, Schokoriegeln und WC-Parkplätzen entlang des Weges („Passieren gerade Wanne-Eickel, ey, das Musikerleben ist so crazy…“). Kurze Vids und Pics vom Soundcheck und vom Catering-Buffet („Mifp Leupe, fom wieba mur Käwe-Wemmelm ohme Bupper – umm keim Bia!“) gehören genauso in die Facebook- oder Instagram-Story wie wenig später geilster italienischer Foodporn während des Abendessens: Nach dem Weichzeichner-Dessert-Skandal „Zärtliche Rosinen“ und der englischen Fortsetzung „Strummer Max“, über einen Rhythmusgitarristen, dessen Eiern auf Schinkenbrot kein weiblicher Fan widerstehen kann, sind die Protagonisten heute: Pizza Hawai + Pils vom Fass (Drums), Spaghetti Bolognese + Maracuja-Schorle (Bass) und Tomatensuppe + kleines stilles Wasser (voc/git). Ganz wichtig auch beim Essen: Alle zwischendurch eintreffenden Kommentare sichten, liken, beantworten. Anders wäre es unhöflich und würde die Credibility nachhaltig beschädigen. 5 Minuten vor Showtime dann den obligaten Bandshot aus der Garderobe twittern („Aufgeregt. Gleich geht‘s los!“) – fertig. Fertig? Du weißt es besser, denn „The Best Never Rest“ – und sie machen noch während der Show Fotos oder Videos vom Blick ins Publikum bzw. auf die Skulptur aus Handys, unter der sich der Legende nach irgendwo das Publikum verbergen soll. Am besten sofort hochladen, das Intro zur Herzschmerz-Ballade kann ja heute auch mal ohne Bass auskommen, die Bassline ist eh scheiße. Kein Wunder, ist ja auch nicht von dir, sondern von „brontosaurus2002“– der hat damals das Voting gewonnen.

Oh, boy!

Es gibt ein sehr sehenswertes Portrait über Keith Jarrett, den genialen Jazzpianisten leicht divahafter Prägung („The Art of Improvisation“), an dessen Ende er den Interviewer wissen lässt, dass sie das Interview jetzt leider abbrechen müssen, da er, Mr Jarrett, vorhabe, noch etwas zu üben. Daraufhin die Frage, ob man ihn nicht mit der Kamera begleiten könne, es wäre sicher hochinteressant für die Zuschauer, zu sehen, was und wie Keith Jarrett übt.

Die Antwort des Meisters ist kurz, aber bestimmt und weise:

„No.“ – „Why not?“ – „Because then it wouldn‘t be practicing anymore.“

(„Nein.“ – Warum nicht?“ – „Weil es dann kein Üben mehr wäre.“)

Sondern „Performen“.

Und das richtige Setting für Üben, Rekapitulieren, Komponieren, Texten, Blogartikel schreiben, mentale Vorbereitung und Konzentration auf ein Konzert, kurz: den wahren Kern des Künstler-Daseins, ist unter Umständen ganz einfach

Die Ruhe im Karton

Weil, wenn du permanent performst, wo bist dann du?

Wahrhafte Kunst spiegelt die Seele und braucht einen „Moment of Truth“, einen Moment der Wahrheit mit dir selbst.

Nichts wollen, Entspannung im Hirn, Freiheit!

Damit wird es nichts, wenn du deine Umwelt und jede Situation, dein Tun, deine Mitmenschen, ja, den Wert deines Lebens ausschließlich danach beurteilst, ob sich daraus ein Killer-Post basteln lässt und wieviele Likes, Follower, Kommentare und „Freunde“ du damit generierst.

Denn dann lenken dich all die Schein- und Mikro-Kreativitäten von der einen, großen, der entscheidenden Kreativität ab. Die verlierst du nach und nach aus den Augen, weil du schlichtweg keine Zeit, Energie und auch keine Lust mehr hast, dich neben der Familie (!) und dem Brotjob, deiner Homepage, deinem Newsletter, Facebook, YouTube, Instagram, Twitter, Snapchat, Pinterest, Tumblr, Flickr, Linkedin und all den anderen auch noch darum zu kümmern, Songs und Texte von einigermaßen Qualität und Tiefe zu schreiben oder einfach mal dein Instrument zu üben.

Wie wäre es denn mal wieder damit?

Wir müssen aufpassen, dass uns vor lauter Fremdbestimmung, „Soc Med“ und Selbstmarketing nicht der Freiraum abhanden kommt, in den hinein sich Kreativität überhaupt erst entfalten kann.

Sonst stehen wir am Ende des Tages mit astrein aufgestellten Social Media-Profilen und Tonnen von gekauften Likes und Followern, aber ohne vernünftigen Content da.

Und dann sind wir tot.

Also: Können wir bitte alle mal auf den Teppich zurück und wieder zum Kern der Sache kommen!

Es liegt an dir, denn du hast ein Gehirn.


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"Gemeinsam auf der Welt" | Ein Liebeslied.
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Volker Giesek

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