Heute ist der 12. Mai 2019 und Muttertag.

Für mich zum ersten Mal ohne Mutter, denn meine ist am 10. April gestorben.

Meine Mama war eine von den Guten. Ruhig, weise, mit einem gelegentlichen Hang zum Orakelhaften. Eine Frau mit Prinzipien, die zwar mit Popmusik nichts anfangen konnte, aber sich mit ihrem Mann einig war, den Sohn Jazz studieren und Musiker werden zu lassen.

Mann, hab ich ein Schwein!

Und sie konnte kochen! Eine meiner ersten frühkindlich-kulinarischen Erinnerungen ist ihr köstlicher Milchreis, der war wie sie: Schnörkellos, unverstellt, eine klare Sache, einfach super. Natürlich kam da Zimt und Zucker drauf…

Der Countdown begann mit einem Schwächeanfall ausgerechnet an Papas 90. Geburtstag, den sie mit guter Miene zum bösen Spiel eisern durchgehalten hat. Nein, auf keinen Fall den Notarzt rufen und auch die Gäste nicht ausladen!

Dann eineinhalb Wochen Intensivstation.

Am zweiten Tag konnte sie noch, wenn auch mit Mühe, sprechen, und die gesamte Familie hatte sich an Mamas Bett versammelt. Sogar der 19-jährige Enkel und seine Freundin waren, obwohl gerade auf Reisen in Fernost, an diesem letzten Familientreffen in Original-Besetzung beteiligt: per Sprachnachricht.

Nachdem meine Mama die gehört hatte, schaute sie uns alle an und sagte leise: „Wie kann das bloß angehen, dass einem so warm ist ums Herz?“ Großes Kino. Ich denke, allen war klar, dass es jetzt Abschied nehmen hieß.

Als wir schließlich gingen, war ich der letzte, der das Krankenzimmer verließ. Zum Glück bin ich dem Impuls gefolgt, an der Tür innezuhalten und mich noch einmal zu meiner Mutter umzudrehen. Wieder hingehen? Nein, es ist alles gesagt und getan. Statt dessen habe ich ihr noch einen Luftkuss zugeworfen, den sie auch tatsächlich, in Zeitlupe und unter Mühen, erwiderte.

Dieses Bild wird mich nie verlassen und ist für mich der schönste Schlusspunkt zwischen uns beiden, den ich mir vorstellen kann. Er überstrahlt sämtliche Scheußlichkeiten, die dann noch folgten: Schläuche, Dialyse, künstliche Beatmung inklusive Loch im Hals, die Qual, nicht mehr mit ihr kommunizieren zu können…

Eineinhalb Wochen später hatte eine weise Ärztin dann die Einsicht, dass der Kampf nicht mehr zu gewinnen war und schlug vor „das Therapieziel anzupassen“. Hallelujah!

Meine Frau und ich waren die letzten zwei Stunden bei meiner Mutter und haben sie begleitet. Sie war in guten Händen. Keine Schmerzen, Gnade.

Später hat meine Frau einmal gesagt: „Jetzt, wo sie tot ist, ist deine Mama irgendwie überall, ganz ruhig um uns herum und immer da.“ Ja, so fühlt es sich an, das ist schon merkwürdig…

Das Gedicht zum traurigen, aber eben ganz und gar nicht hoffnungslosen Anlass, hat sich dann einen knappen Monat später innerhalb von 3 Tagen gewissermaßen selbst geschrieben, ich musste nur noch aus dem Weg gehen.

Zimt und Zucker
Für Hannelore Giesek (*30.10.1931 +10.04.2019)


Es war mal eine Frau wie Zimt und Zucker
In ihrer Mischung offenbarte sich Magie
Ein Seelenduft, grad wie aus himmlischen Gefilden
Obwohl, an Gott geglaubt hat sie im Grunde nie


Sie wußte meist, was ich so mache oder singe
Die kannte mich noch besser als genau
Das liegt in der Natur der Sache und der Dinge
Kroch ich hierher doch nackt und nass aus dieser Frau


Dann neulich nahm sie Anlauf
Zum Sprung über die Klinge
Im Laufen warf sie mir noch einen Luftkuss zu
Darin ein ganzes Leben 
Voll familiärer Dinge
In stummer Luft versteckt


Dann brachte sie mir bei
Wie man in Frieden stirbt
Anstatt bizarr verreckt


Ich hoffe sehr, ich werde mich erinnern 
Wenn mir das Leben die Piratenflagge hisst
Bis dahin kann ich diese Frau 
Doch nie so ganz vermissen
Weil sie in jedem Molekül der Luft
In die wir küssten
Und die ich atme, ist


So ist das Wunder 
Letztendlich wahr


Du bist nicht mehr hier
Aber noch da. 
Wir waren Helden
Herr Rossi sucht das Glück

Volker Giesek

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