Die 10 Lebenslügen eines Musikers

Gastbeitrag von Frank Christian Stoffel mit Kommentaren von Volker Giesek

Einfach weil es sein muss und um hoffentlich den jungen Menschen ein wenig die Augen zu öffnen, hier die nackte Wahrheit über den Selbstbetrug eines ganz normalen durchschnittlichen Musikers.

Auf meinen Streifzügen durchs Internet habe ich auf dem sehr lesenswerten Blog von Frank Christian Stoffel seinen Artikel „Die 10 Lebenslügen eines Musikers“ entdeckt: Über 2000 Wörter „Reality Check“ für Musiker – weise, schonungslos, kontrovers.

Und das Beste: Ich darf ihn als Gastbeitrag auf blogaroundsound veröffentlichen. Danke, Frank!

Wahrscheinlich wird es gleich an der ein oder anderen Stelle ein bisschen wehtun. So war es zumindest bei mir.

Aber egal, bei welchen Textpassagen du ins Grübeln kommst, dich reflexartig verteidigst oder zustimmend mit dem Kopf nickst: Kalt lassen werden dich die Worte sicher nicht.

Natürlich habe auch ich eine Meinung und / oder eigene Erfahrungen zu den einzelnen Punkten.

Die stehen hier in blau, damit du durchblickst, wer gerade spricht.

Teile den Artikel gerne mit Leuten, für die das auch ein Thema ist und / oder hinterlasse einen Kommentar.

1. Musik ist mein Leben

Nein, Musik ist nicht Dein Leben. Dein Leben ist Dein Leben und wenn Du nicht zu den ganz wenigen egozentrischen Superstars gehörst, dann besteht Dein Leben nicht nur aus Deiner Musik. Es besteht nicht nur aus Dir alleine, sondern auch aus Deinen Freunden. Es besteht auch nicht aus ständig wechselnden Geschlechtspartnern, sondern irgendwann hoffentlich aus einem Menschen, den Du liebst und mit dem Du eine Familie gründen wirst. Dann wirst Du feststellen, dass Musik nur einen Teil Deines Lebens ausmacht. Das kann ein ganz großer wichtiger Teil Deines Lebens sein, aber es ist nicht der einzige und allerwichtigste Teil Deines Lebens. Zumindest sollte er das nicht sein, denn ansonsten wird Dein Leben, das sich nur auf Dich und Deine Musik reduziert, früher oder später böse vor die Wand fahren. Sätze wie „Musik ist mein Leben“ oder „Ich mache Musik, weil ich es muss“ oder „Ich bin von Musik besessen“ zeugen von einem romantisch verklärten Künstlerbegriff, der nichts mit dem wahren Leben zu tun hat.

Ja, Frank, das sehe ich genau so, aber wir zwei sind mittlerweile eben auch schon ein gutes Stück unseres Weges zum gandalf-gleichen weisen Alten voran geschritten. In meinen jungen Musikerjahren sah das freilich ganz anders aus, eher so, wie du es beschreibst: Ich war fast schon manisch interessiert an allem, was mit Musik zusammenhing. Perfektionistisch und ehrgeizig bis übers Ziel hinaus. Ich wollte es einfach wissen: Ob und wie ich mit der Musik weiter als in die Privatinsolvenz komme. Damals hätte ich „Musik ist mein Leben“ ohne Weiteres unterschrieben. Mit den Jahren wird man gechillter, und das ist gut so. Aber vielleicht musst du als junger Mensch lichterloh in Flammen stehen, damit dich später eine heimelige orange-rote Glut verlässlich wärmt.

 

2. Wenn ich den ganzen Tag Musik mache, wird meine Musik besser

Nein, wenn Du den ganzen Tag Musik machst, wirst Du maximal ein besserer Musiker. Ob die Musik, die Du machst, dadurch besser wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Der Wert von Deiner Musik bemisst sich nicht an der Zeit, die Du in sie hineingesteckt hast, sondern einzig und alleine daran, ob sie anderen Menschen gefällt. Du kannst mit einer klassischen Singer/Songwriter-Nummer, die in einer halben Stunde aus Dir herausgesprudelt ist, ein Millionenpublikum begeistern. Aber Deine Progrock-Oper, an der Du seit einem Jahr nun täglich acht Stunden arbeitest, wird nicht automatisch nur deshalb auf große Anerkennung stoßen, weil Du viel Fleiß und technische Versiertheit in sie gelegt hast. Nur Musiker schätzen technisch versierte Musik anderer Musiker. Den normalen Hörern ist das völlig schnuppe. Wir hören Musik, weil wir uns berühren lassen wollen. Wir wollen etwas erleben und eine Geschichte erzählt bekommen. Die kannst Du aber nur erzählen wenn Du etwas vom Leben mitbekommst. Und vom Leben kannst Du nur etwas mitbekommen, wenn Du nicht acht Stunden am Tag in Deinem Zimmer hockst und an Deiner Musik rumwerkelst. Mal abgesehen davon, dass so ein Verhalten dann ja schon fast neurotische Züge hätte.

Von Hanns Eisler stammt der Satz: „Wer nur etwas von Musik versteht, versteht auch davon nichts.“ Er hat das zwar so gemeint, dass Musik in Bezug zu den herrschenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen stehen soll, aber ich finde, das Zitat passt auch auf deinen Gedanken. Ja, der Musiker-Dreisatz lautet notwendiger Weise: Erfahrungen machen > Seelentiefe erlangen > berührende Musik (+ Texte) schreiben. Trotzdem lass mich einen Vorschlag machen, denn ich habe ein Problem mit der Gleichung „Wert deiner Musik = ausschließlich die Anzahl der Menschen, der sie gefällt“. Klar, auf pekuniärer Ebene generiert noch der schlimmste Schlager mehr Wert als Keith Jarrett oder Snarky Puppy. Aber ist Letzteres daher weniger wert im Sinne von „qualitativ minderwertiger“, ist es also „schlechtere Musik“? Schwierig, oder? Da lauern Missverständnisse. Ich plädiere dafür, dass wir es um eine ideelle Sichtweise erweitern, also in etwa „Geldwert deiner Musik = Anzahl der Menschen, der sie gefällt | Ideeller Wert deiner Musik = Das Ausmaß, in dem du hinter ihr stehst.“ Weil, vielleicht muss die Prog-Rock-Oper ja einfach sein, jetzt, ohne Kompromisse, ohne Geld oder Aussicht darauf, wurscht, schaumermal, ich fang jetzt an, wie geil ist das denn…: „Am Anfang war nichts (Powerchord auf E) … Aber nichts währt ewig…, und so nahm diese Geschichte ihren Lauf, als das Volk von Mordor sich gegen Estragon erhob, den letzten Sohn von Gorkulon (13/8-Bass hinzu) aus dem Geschlecht der…“ Nein, höre hier nicht auf…, aber hör auf Frank und mich: Bitte nicht maulen, wenn es mit dem Tony Award dann doch nicht klappt, denn du machst das in erster Linie für dich und das ist großartig! Dein künstlerisches Portfolio und dein Erfahrungsschatz wachsen, und wie war das? Erfahrungen machen > Seelentiefe erlangen > berührende Musik (+ Texte) schreiben. Geld verdienen dann mit was Anderem, schon wieder eine Erfahrung, Wahnsinn!

 

3. Ich brauche nur das richtige Equipment

Nein, wenn der Bauer nicht schwimmen kann, liegt das nicht an der Badehose. Und wenn Du mit Deiner Musik keinen Erfolg hast, liegt das nicht an Deinem Equipment. Zugegeben, Du solltest nicht auf den allerschlechtesten Instrumenten mit den allerschlechtesten Verstärkern spielen (wahlweise einsetzen: Synthesizer, Computer, Boxen, Mikrofone). Aber es muss auch nicht das Neueste, Teuerste und Beste sein. Gute Musik, tolle Songs, originelle Technotracks leben von der neuen musikalischen Idee. Du brauchst nicht das selbe Equipment wie Dein Idol, nur um am Ende genau so zu klingen. Deinen Sound gibt es noch nicht. Wir wollen nicht immer wieder den zweiten Abklatsch vom dritten Aufguss hören. Wir wollen authentische eigene Persönlichkeiten, die uns mit ihrer eigenen Vision von Musik beeindrucken. Such etwas im Netz herum und mach Dich schlau, wie Du mit wenig finanziellem Aufwand Deinen Sound umsetzen kannst. Das geht erheblich leichter (und günstiger) als Du vielleicht glaubst.

Ha, das mit dem Bauern und der Badehose gefällt mir und es ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, Euer Ehren. Beweis? Ich habe einige meiner inspiriertesten Songs während meiner Zeit als Musikalischer Leiter in einer kleinen, runter-gerockten Theaterwohnung mit Linoleumboden komponiert. An einem grünen Resopaltisch sitzend und auf ein 37-Tasten Yamaha Batterie-Keyboard äußerst zweifelhafter Klanggüte einhämmernd. Meine Erinnerungen sind verschwommen, aber der Pianosound war irgendwie „Pöng“, während die Strings eher so Richtung „Bsss“ gingen. Hab das Ding noch im Keller, muss es mal wieder rauf holen…

 

4. Ich muss in die GEMA

Nein, Du musst gar nichts, Du bist Musiker. Überlege Dir sehr gut, wem Du Rechte an Deiner Musik ohne Not und ohne zeitnah abzusehenden großen Nutzen einräumen willst. Informiere Dich genau über die Implikationen, die eine Mitgliedschaft in der GEMA mit sich bringen. Die GEMA kann für Dich von Nutzen sein. Wenn Du aber kein Superstar, Filmkomponist oder Ghostwriter für andere Stars bist, Deine Stücke nicht im Radio auf Heavy-Rotation laufen und auf diversen Compilations erscheinen, wenn Du also am Anfang Deiner Karriere stehst und Stücke von Dir selber aufführst und im Eigenverlag herausbringst, dann wird Dir die GEMA wenig nützen. Sie kann Dir sogar schaden, da sich zur Zeit eine Mitgliedschaft in der GEMA und Veröffentlichungen unter Creative Commons Lizenz ausschließen. Am Anfang Deiner Karriere legt Dir die GEMA nur Steine auf Deinen Weg der digitalen Selbstvermarktung, die Du hoffentlich schon in die Hand genommen hast.

Was soll ich sagen, eine meiner ersten Amtshandlungen als Musiker war, als außerordentliches Mitglied in die GEMA einzutreten. Aber es war, ist und bleibt eine Hassliebe. Wenn die zu erwartenden Ausschüttungen die Aufnahme- und Jahresgebühr nicht übersteigen, macht es natürlich keinen Sinn. Ja, ich gebe dir Recht, Frank, man sollte sich eine GEMA-Mitgliedschaft gerade am Anfang seiner Karriere gut überlegen. 

Pro:

  • Die GEMA versucht, den Geldwert von Kreativität ins öffentliche Bewusstsein zu rücken
  • Die GEMA hat versucht, mit YouTube ein Vergütungsmodell für die Urheber der YouTube-Inhalte auszuhandeln
  • Es ist angenehm, ab und an von der GEMA unverhofft Tantiemen ausgeschüttet zu bekommen
  • Ihr Kundenservice hat sich massiv verbessert. Gerade in letzter Zeit habe ich sehr freundliche und kompetente Beratung, etwa über den für eine bestimmte Veranstaltung oder VÖ günstigsten Tarif erfahren. 

Contra:

  • Tarif-„Reformen“ mit Berechnungsmodellen, durch die nicht mal Stephen Hawking durchgestiegen wäre, wurden in der Vergangenheit ohne Grundabstimmung vom Vorstand „beschlossen“. Für den normalen „Working Musician“, der in Clubs der Region seine eigenen Stücke spielt, bedeutete etwa das 1998 eingeführte „PRO“-Verfahren (2012 abgelöst durch „INKA“) einen krassen Einbruch seiner GEMA-Einnahmen.
  • Man muss für die Veröffentlichung, Aufführung sowie den über die eigene Homepage laufenden Online-Verkauf seiner eigenen Musik GEMA-Gebühren bezahlen. Das finde ich bizarr.
  • Vorsicht, Bürokratie! Formulare, Satzung, Paragraphen, Regelungen, Ausnahmeregelungen, Sonderregelungen, Amtsdeutsch statt Klartext.

Hier beantwortet die GEMA die häufigsten eine Mitgliedschaft betreffenden Fragen.

 

5. Ich brauche einen Manager, Produzenten, Verlag, Booker

Nein, Du brauchst keine selbsternannten Freunde, die Prozente von Deinen Rechten haben wollen. Du brauchst richtige Freunde, die mit Dir den ganzen Weg gehen wollen und zusammen mit Dir groß werden oder untergehen. Deine echten Freunde stehen wie Du mit dem Rücken zur Wand und werden sich mächtig für die Sache reinhängen. Die professionellen Freunde haben viele Freunde wie Dich. Wenn Du untergehst, drehen sie sich um und suchen sich neue Freunde mit denen sie Geld verdienen können. Wenn Du nicht den ganzen Tag nur Musik machst und Dich auch auf Konzerten befreundeter Bands bzw. Partys befreundeter Djs sehen lässt, kannst Du Kontakte knüpfen und Netzwerke bilden. Du wirst Leute in Deinem Freundeskreis finden, die sich für Tontechnik, Grafik-Design, Social Media oder auch Tour-Booking interessieren. Ihr seid ein tolles Team, voller Tatendrang, das die Welt aus den Angeln heben wird. Das wollen die Professionellen nur in den ganz seltensten Fällen.

Stimmt wohl. Zwar hat sich bei mir nie die Manager- oder Produzenten-Frage gestellt. Aber ich kann bestätigen, dass unerwartet Hilfe aus dem persönlichen Umfeld auftaucht, wenn du erst einmal ernsthaft mit etwas begonnen hast. Selbstmarketing ist ja ohnehin das Wort der Stunde und eine Band kann die Aufgabenbereiche Booking, Social Media, Pressearbeit und Promo idealer Weise unter den Bandmitglieder aufteilen. 

 

6. Auf Tour zu sein ist toll

Nein, Musik zu machen und Konzerte zu geben ist toll. Aber 50 Abende hintereinander Musik zu machen und in immer neuen Städten Konzerte zu geben ist vor allem eins: anstrengend. So lange Du nicht zu den Superstars gehörst, wirst Du keine großen Hallen als Topact füllen, nicht in Hotels oder luxuriösen Nightlinern übernachten und keine eigene Cateringcrew dabei haben. Du wirst am Anfang Deiner Karriere in Jugendzentren und kleinen Clubs zusammen mit Bands aus der jeweiligen Stadt auf zu kleinen Bühnen mit schlechten Anlagen stehen. Du wirst hin und wieder mit Schlafsack und Isomatten auf Böden schlafen, oft privat auf mittelprächtigen Schlafsofas und selten in kleinen Pensionen. Du wirst Unmengen an Nudeln mit roter Soße essen, verkochte vegane Gemüseeintöpfe und selten Kraft spendende Hausmannskost. Wenn Du schon eine Liga weiter bist, werden die Rahmenbedingungen ein wenig besser für Dich. Was jedoch bleibt ist die brutale Realität der Mathematik: Eine Tour mit 50 Konzerten am Stück besteht aus 50 Stunden Auftritt und 1.200 Stunden Davor und Danach. Für manche Musiker ist es das wert; die tollen Auftritte machen alles andere wieder wett. Für viele andere Musiker jedoch ist der Gegensatz von den aufregenden Auftritten und dem enervierenden Davor und Danach so anstrengend, dass sie zu Alkohol und / oder Drogen greifen, an Burnout oder Depressionen leiden, oder schlicht und ergreifend irgendwann die Nase vom ewig gleichen Touralltag voll haben.

…und je älter man wird, desto anstrengender wird es bzw. desto anspruchsvoller wirst du, was Unterbringung, Catering, Reise betrifft. Irgendwann hast du einfach keinen Bock mehr auf Bassisten-Schweißfüße im selben Bett, nicht mal als Bassist (an alle Bassisten, mit denen ich je das Zimmer geteilt habe: Ihr seid nicht gemeint!). Meine Tourerfahrungen beschränken sich auf lediglich 2 mal 14 Tage. Nicht mit einer jungen aufstrebenden Band in eigener Sache, sondern mit Felicia Weathers, einer (sehr sympathischen) Ex-Operndiva. Wir sind zur Weihnachtszeit mit einem Klassik-, Gospel-, Christmas-Mix quer durch Deutschland getourt. Ich war für Keyboards und Drum-Programming verantwortlich, da man zu gei… äh, da ein Drummer nicht mehr ins Budget gepasst hat. Alles war gut von einer professionellen Agentur organisiert, hat mir damals mit Ende 20 richtig Spaß gemacht und Erfahrungen generiert, die nicht in Burnout oder Alkoholsucht endeten. Obwohl ich allen Grund dazu gehabt hätte: Nachdem ich im Vorfeld alle Sounds für die Show fein säuberlich mit Splits und Layers über den gesamten Tastaturumfang der 88 Tasten meines Masterkeyboards organisiert hatte, hat sich während der letzten 3 Shows die Tastatur nach und nach verabschiedet, so dass ich beim Soundcheck jeweils umprogrammieren musste, was umzuprogrammieren ging. Am Ende war ich in Schweiß gebadet auf den mir gnädiger Weise verbliebenen 2 ½ Oktaven unterwegs. Einiges klang eher ungewohnt an jenen Abenden… Dann war da noch dieser Bassist an Bord. Mit dem Geruch seiner Füße hat alles gestimmt, aber er konnte ums Verrecken nicht nach Dirigat spielen. So haben der MD und ich, auf die leicht panisch vorgetragene Bitte von Felicia hin („Volker, I’m desperately trying to save my show!“), versucht, ihm das in vormittäglichen Sonderproben in Hotel-Hinterzimmern beizubringen – mit gemischtem Erfolg. Bei der 2. Tour war dann auch ein anderer, über jeden Zweifel erhabener Tieftöner mit von der Partie. Wirklich über jeden: Vom weißen Auftrittshemd bügelte er jeden Abend nur eine V-förmige Fläche auf der Vorderseite unterhalb des Kragens. Hocheffizient, ließ doch die darüber getragene Smoking-Jacke nur den Blick auf genau dieses Hemdsegment zu. Frontend top, aber alles, was unter der Jacke verborgen war, sah aus, als hätte es ein Galloway als Hubba-Bubba-Ersatz verwendet. Großartig!

 

7. Ausbeuter sind die anderen, aber nicht ich

Nein, selbst wenn Du Dich selber immer noch gerne als Indie-Musiker, Rock’n’Roller, Punker, Underground-Techno-Aktivist oder Totalverweigerer siehst. Denn höchstwahrscheinlich hast Du nicht Deine gesamte Band bei der GEMA als Komponisten angegeben, sondern nur Dich und maximal einen weiteren Musiker. Bassist und Drummer sind nur Para-Musiker, wenig mehr als Angestellte, und spielen eh nur nach Deinen genialen Vorgaben. Die Leute, die mit Dir auf Tour gehen, seien es Toningenieur oder Tourbegleiter, sind nicht prozentual an den Einnahmen beteiligt, sondern bekommen einen festen Betrag mit der Aussicht auf mehr, wenn es irgendwann so richtig läuft. Du benutzt gekrackte Software, weil Du Dir ja unmöglich jedes neue lauter-fetter-besser-geiler Plugin kaufen kannst. Du benutzt für Deine Webseite jede Menge an freier Software, hast aber noch nie einem Entwicklerteam etwas dafür gespendet. Selbst wenn Du ein veganer, politisch überkorrekter Punkmusiker bist, wirst Du Dein Geld lieber werbewirksam an Tier-, Menschen- oder Pflanzenrechtsorganisationen spenden, als Deine Vorband an den Kasseneinnahmen zu beteiligen und ihnen einen ebenso guten Sound wie Dir selber zu erlauben. Musik ist für Dich inzwischen (leider) auch Business. Steh endlich dazu. Und erzähl uns nicht, wie schlecht es Dir geht und wie Du ständig von Abzockern bedroht wirst.

Oha, wenn ich mir diesen Absatz durchlese, legt mein Heiligenschein sofort ein paar Lumen zu. Das Schreiben wird schwierig, fast überstrahlt er den Monitor ;)) Die beschriebenen Verfahrensweisen prangerst du zu Recht an, Frank. Ich komme natürlich auf meiner bescheidenen Ebene und mit meinen Projekten auch gar nicht erst in Versuchung. Großes Indianerehrenwort: Bei mir gibt es keine gecrackte Software, bei Kollaborationen werden alle Autoren bei der GEMA als Urheber gemeldet, Gagenzahlung immer transparent und nach Absprache und meine Spenden werden an keine Glocke gehängt, weder groß noch klein. Amen.  

 

8. Mit einem Plattendeal wird alles gut

Nein, wird es nicht, es wird nur anders. Die meisten Plattenfirmen sind wie große Lehmschleudern. Sie werfen viele Lehmklumpen an die Wand und hoffen, dass ein paar hängen bleiben. Etwas netter formuliert: Plattenfirmen sind Risikokapitalgeber. Sie investieren in ganz viele Projekte und hoffen, dass sich einige davon für sie rentieren. Welches Projekt das am Ende ist, ist ihnen relativ egal. Dementsprechend wird für Dich auch erst einmal nur das Basisprogramm abgespult. Wenn die Verkäufe dann den Erwartungen entsprechen wird einen Gang hoch geschaltet. Bleiben die Verkäufe hinter den Erwartungen zurück, läuft alles bestenfalls einfach so weiter, oder es wird einen Gang zurück geschaltet. Vielleicht darfst Du ein zweites Album machen. Vielleicht verschwindet aber Dein erstes Album, nachdem die Erstauflage ausverkauft ist auch einfach in den Archiven der Plattenfirma und wird nicht noch mal aufgelegt. Vielleicht bekommst Du bessere Konzerte und Rezensionen, weil Du jetzt bei einer bekannten Plattenfirma bist. Vielleicht stellst Du aber auch fest, dass Du mehr Platten auf Deinen Konzerten verkaufst als die Plattenfirma in den Läden. Blöd nur, dass Du Deine Platten von der Plattenfirma zum Vertriebspreis (oder schlechter zum Händlerabgabepreis) vorher kaufen musst. Wenn Du nicht zu den glücklichen 3% gehörst, die mehr als 5.000 Einheiten von ihrer Musik verkaufen, wird für Dich mit einem Plattendeal nicht alles gut, sondern nur komplizierter, größer, schneller, anstrengender und nerviger.

Nein, mit einem Plattendeal wird wirklich nicht alles gut. Meiner Erfahrung nach bringt es heutzutage lokal bis regional tätigen Musiker*innen keinen Vorteil einen Bandübernahmevertrag abzuschließen (was bedeutet, du lieferst ein fertiges Master an, hast also alle Produktionskosten bis hierher selber bezahlt). Du bekommst wahrscheinlich einen Kostenzuschuss für Artwork und Presskosten. Aber durch die Abnahme eines vertraglich festgelegten Kontingents deiner eigenen CD, wie es Frank beschrieben hat, halten sich viele Plattenfirmen schadlos. Wenn gleichzeitig eine Inverlagnahme deiner Titel verpflichtend ist, kassiert bei jedem Konzert, das du mühevoll an Land ziehst, der dem Label angeschlossene Verlag 40 % deiner GEMA-Tantiemen. Leider ist das nicht selten das Einzige, was seitens der Plattenfirma geschieht. Weit und breit kein Kreativ-Partner in Sicht, der auch über das Promotionfenster von 4 Wochen um den Releasetermin hinaus mit Ideen, Kontakten und Vorschlägen mit im Boot ist. Inzwischen paddeln natürlich auch kleine bis mittlere Plattenfirmen mit ihrem Boot auf einem ziemlich toten Meer herum. Wenn nicht immer noch ca. 10 – 20 % der Konzertbesucher eine CD mit nach Hause nehmen würden, könnte man sich als Künstler die Investition in die Herstellung eines Tonträgers, der sich eventuell nie amortisiert, komplett sparen. Ich glaube sogar, dass Musikaufnahmen in Folge der Digitalisierung sich schon längst vom Hauptzweck und höchsten Gut der Musiker zu lediglich einem von vielen Mitteln gewandelt haben, mit denen er seine Social Media-Profile schärft. Das ist ein schönes Thema für einen extra Blogartikel…

 

9. Eines Tages kommt der Durchbruch und ich habe es geschafft

Nein, selbst wenn es in Deiner Karriere glücklicherweise eine Durchbruchsphase geben sollte, hast Du es damit noch lange nicht geschafft. Erfolgreich zu sein ist harte Arbeit. Erfolgreich zu bleiben ist noch härtere Arbeit. Du wirst nicht jünger, aber die Künstler die nach Dir kommen sind es. Du kannst Deine Musik nicht immer neu erfinden, aber die jungen Musiker nach Dir erfinden immer neue Stile. Wenn Du mit der ewigen Verjüngungskur der Musik mithalten kannst, dann bist Du einer der wenigen Superstars der Welt, deren Karriere nicht nach ein paar fetten Jahren abknickt und in ruhigeren Bahnen verläuft. Da Du aber kein Superstar bist, wird Deine Karriere abknicken und sich nach ein paar Achtungserfolgen auf einem Level einpendeln, wo nicht alles schlecht ist aber auch nicht so glamourös wie Du es Dir immer erträumt hast. Du füllst mittelgroße Hallen und in Deiner Heimatstadt bist Du bekannt wie ein bunter Hund. Etwas weiter im Süden aber erkennt Dich auf der Straße keiner mehr. Du wirst älter, verkaufst nicht mehr ganz so viele Platten und überlegst, ein Buch zu schreiben. Du wirst nach wie vor vom ganz großen Durchbruch träumen, wenn denn endlich nur … ja wenn … und hätte . .. und überhaupt. Und wenn Die Hoffnung auf den ganz großen Ruhm dann irgendwann zuletzt in Dir gestorben ist, dann freue Dich. Endlich kannst Du den Tatsachen ins Auge schauen. Musik ist ein Glückspiel und Du hast leider nicht den Hauptgewinn gezogen. Aber das ist kein Grund einfach alles hinzuschmeißen und aufzugeben. Fang endlich an Deine Musik vernünftig in Dein Leben zu integrieren. Genau so wenig, wie Du Dein Leben für Deine Musik aufgeben sollst, genau so wenig sollst Du Deine Musik für Dein Leben aufgeben.

Dem habe ich nichts hinzuzufügen (und das nicht aus Faulheit).

 

10. Ich kann von Musik leben

Ja, das kannst Du und es ist nur ein ganz kleines bisschen geschummelt. Denn Du verschweigst dabei, dass es leider nicht Deine Musik ist, von der Du lebst. Du verdienst etwas Geld mit Musikunterricht, sei es an einer Musikschule oder als Privatlehrer. Dafür fährst Du auch gerne einmal in der Woche in eine andere Stadt. Du verdienst etwas Geld in einer Top40-Coverband und ihr tretet auf Schützenfesten und Firmenfesten auf. Dafür bringt ihr gerne Eure eigene Anlage mit und baut sie auch selber auf und ab. Vielleicht spielst Du auch in einem kleinen, feinen Ensemble und ihr tretet in Cafés oder bei Vernissagen auf, oder Du bist der Mann am Klavier in einer netten Cocktailbar. Du kennst einen Filmkomponisten und spielst ihm hin und wieder ein Solo für seine Layouts ein. Dafür bekommst Du einen kleinen Festbetrag, aber natürlich keine Prozente oder Autorencredits. Oder Du spielst mal als Gastmusiker bei der ein oder anderen CD-Produktion mit, bei gleichem Bezahlungsmodell, sprich Buy-Out. Mit Deiner eigenen Musik trittst Du auch ein paar Mal im Jahr auf und nach Abzug der Reisekosten und Gagen für Deine Musiker bleibt noch etwas für Dich über. In letzter Zeit schreibst Du auf die GEMA-Bögen der Top40 Band immer auch ein oder zwei von Deinen Stücken drauf, weil Du so von der GEMA noch ein wenig Geld bekommst. Wenn Du mal wieder eine CD machst, dann verkauft sich die immerhin so gut, dass Du da problemlos drei Monate von leben könntest. Wohlgemerkt nur Du, da Deine Mitmusiker ja keine Komponisten sind und für die Aufnahmen direkt von Dir bezahlt wurden. Du organisierst in Deinem Heimatort einmal im Jahr ein kleines Musikfestival und bekommst dafür ein kleines Honorar. Für einen kleinen Verlag setzt Du manchmal ein paar gemeinfreie Kinderlieder, vielleicht sogar mit einer kleinen eigenen Bearbeitung, dann gibt es von der GEMA noch mal was obendrauf. Du hast nicht mehr das Gefühl Dich durchschlagen zu müssen, denn es läuft ganz gut und Du kannst von Musik leben.
Nur manchmal, in den ganz melancholischen Momenten, die Du als Künstler ertragen musst, da fragst Du Dich, ob es nicht doch ein Fehler war nach dem Studium den langweiligen Halbtagsjob im Büro zu kündigen. Dann hättest Du abends nicht die Ohren komplett mit der Musik anderer Leute zu und könntest mit Deiner schrägen Band einfach die Musik machen, auf die Du Lust hast. Ohne ständig darüber nachzudenken, wie Du Dich am besten verkaufen kannst.

Na klar war es ein Fehler, den Halbtagsjob zu kündigen! Konfuzius sagt: „Überquere niemals die mit deinem Herzblut gezogene rote Linie, jenseits derer Qual und Selbsthass lauern.“ Oder hab ich den jetzt mit mir verwechselt? Egal, alles in allem läuft es wohl auf mein persönliches Mantra hinaus: „Ich bin Musiker, und mein Hobby ist gute Musik.“ Und / oder meine Musik, je nachdem. Die finde ich natürlich auch gut. Was andere über sie denken, interessiert mich zwar (ja, ich schätze konstruktive Kritik, durch sie lerne ich dazu), jedoch ist das nicht der Punkt. Ich liebe es ganz einfach, kreativ zu sein und was dabei raus kommt, muss ich dann „Allen zeigen“, auf den Kanälen, die gerade angesagt sind – kindisch, oder? Dabei wird querfinanziert, was das Zeug hält. Wenn ein Projekt mir taugt, prüfe ich sämtliche möglichen Wege und Kapazitäten, unabhängig von Mindestgagen und Tantiemenregen. Schon Karl Valentin hat gewusst: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Und mitunter ist sie nicht mal bezahlt. Aber allen von uns, die ein „Künstler-Gen“ auf ihrer Doppel-Helix haben, sei aus eigener Erfahrung versichert: Diese kleine Macke macht dich zu etwas Besonderem, sie gilt es wertzuschätzen, zu kultivieren und weiter zu entwickeln. – Das letzte Wort soll der von mir hoch geschätzte Singer-Songwriter Ben Folds haben: „All you need is the thing you’ve forgotten / And that’s to learn to live with what you are.“ (Kompletter Songtext hier.)

Was hast du für Erfahrungen zu den einzelnen Punkten gemacht? Was ist deine Meinung? Hinterlasse einen Kommentar.


Sei dabei und Teil des Publikums!
Alles ist vorbereitet: Hinweise zu neuen Artikeln und meinen übrigen Aktivitäten können bequem in deinem E-Mail-Postfach landen – wenn du meinen release + newsletter abonnierst.
Schau dir hier ein Beispiel an.

Wird verarbeitet …
Erledigt! Sie sind auf der Liste.
ALLES MENSCH: "Hirn aus Schrott"
"Gemeinsam auf der Welt" | Ein Liebeslied.

Volker Giesek

FEEDBACK