Ich muss gestehen: Zu Beginnn der desaströs-coronösen Zeit im Jahr 2020 fühlte sich ein Teil von mir statt bedroht eher befreit. Es war, als wäre er gemeinsam mit meinem schlechten Gewissen in einer Art Zwangsurlaub. Kein nächstes Konzertprogramm war vorzubereiten oder zu rekapitulieren. Ich konnte spielen, was ich wollte, und sei es Backgammon. Das elende Booking, die kalte Akquise durften mit pandemischer Absolution pausieren, was für eine Erholung! Und so viel Zeit! Hach, herrlich, schnell mal auf Insta und Facebook schauen, was die anderen alles so nicht machen.

Als Dozent der BFS für Musik und der Jazzschool war ich nicht in Existenznot, das weiß ich zu schätzen. Aber auch dort war es kein Spaziergang, und niemand zählte (und zahlte) die Überstunden… Gemeinsam mit der Schulleitung und vielen meiner Kolleginnen und Kollegen, bin ich nach unvermitteltem Startschuss mit Hilftjanix– und Wirdschon-Mindset los gesprintet. Zu einem Hürdenlauf über wechselnde Masken- und Hygieneverordnungen, Distanz- und Präsenzunterricht, Stäbchen in Nasen, rote Linien in Sichtfenstern, DSGVO-kompatible schulinterne Impfnachweise, mit unterschiedlichen Vorschriften für die staatliche BFS und den offenen Musikschul-Unterricht (wohlgemerkt am selben Tag und im selben Gebäude). Wer immer das kommunizieren musste und immer noch muss, ist nicht zu beneiden und kann einem leid tun. Aus dem Sprint ist ein Marathon geworden, Distanz ungewiss.

Aber auch wenn Arbeitgeber so manche Verordnung umsetzen müssen, über deren Konsequenzen und innere Logik die politischen Entscheider offensichtlich den Überblick verloren haben, dürfen wir nicht vergessen, dass das hier für alle eine Premiere ist. Pandemie war noch nie. Alle sind überfordert, und bei Überforderung agiert der Mensch manchmal kopflos, mitunter am Rande der Lächerlichkeit. Auf welcher Seite des Randes er sich dabei befindet, darüber sowie über vieles andere muss diskutiert und darf gestritten werden. Wir müssen dazulernen. Auf der Basis von Mitgefühl und Nachsicht wäre es am schönsten.

Obwohl mich einige Zeitgenossen in dieser Hinsicht auf eine harte Probe stellen, denn, nein, wir leben nicht in einer Diktatur, die Erde ist auf keinen Fall eine Scheibe und die unmittelbar bevorstehende Versklavung der Menschheit durch Reptiloiden ist aktuell nicht meine größte Sorge, was unseren Planeten betrifft. Angela Merkel hat sich ohnehin schon ins heimische Terrarium zurückgezogen, man darf also beruhigt sein.

Um trotz alledem im Jahresmittel die Contenance zu wahren, braucht der Profi-Pandemiker außer Empathie eine gute Portion Fatalismus, ausgeprägten Sinn für Realsatire und, damit verbunden, mindestens ein Clowns-Lächeln in jedem Knopfloch. Ach ja, geimpft sein wäre auch nicht schlecht.

Vielleicht hilft ja auch das: Einfach mal tief durchatmen – natürlich mit Abstand und ohne Maske (oder wenigstens mit einer frischen).

Mit derart sauerstoff-durchflutetem Hirn fällt mir auch prompt etwas Positives auf, nämlich die Form meiner Lernkurven im Bereich digitaler Tools und Skills seit Pandemie-Beginn. Sie gleichen Steilwänden, vor deren Bewältigung sich selbst der junge Reinhold Messner nachdenklich den Bart gekrault hätte, so er schon einen hatte. Nein, „Ensemblespiel online“ war kein anderer Ausdruck für den Multiplayer-Modus bei Fortnite, sondern Lockdown-Realität an unserer Schule! Not macht erfinderisch, und so war der Unterricht am Ende weder sinnlos noch allzu bescheuert. Zusätzlich hat er Halt und Struktur gegeben sowie in Krisenzeiten Sinn gestiftet. Mir zumindest. Ich behaupte, auch meinen Schülerinnen und Schülern.

Eigentlich hätte alles den Umständen entsprechend ganz schön sein können, aber, ach, ich bin ja Zwei! Da ist noch mein innerer Künstler, den ich für gewöhnlich hege und pflege, komme, was da wolle. Immerhin bin ich wegen ihm geworden, was ich bin: ein grundsätzlich glücklicher Musiker. Doch nun, nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit, war der Kollege verwahrlost und kurz vorm Verhungern. Es nährte ihn nichts und ihm war langweilig bis auf die Knochen. Weit und breit weder Halt, Struktur noch Sinn. Unter täglich neuen Infektions-Höchstständen drohte der graufeuchte Herbstnebel sich nicht nur über das Land, sondern auch schleichend über meine Künstlerseele zu legen. Liest sich poetisch, war aber scheiße. Die Sache mit dem Clowns-Grinsen wurde immer schwieriger und bekam jokerhafte Züge. Doof.

Dann passierten Dinge.

Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich eines Morgens wieder gesungen. Unter der Dusche, einen meiner Songs mit dem Titel Alles, was ich weiß. Ich kann nur vermuten, warum gerade der plötzlich über mich kam. Wahrscheinlich, weil seine Stimmung und viele der im Songtext enthaltenen Bilder auch zu einem Lockdown und unserer Vereinzelung durch die Kontaktbeschränkungen passen. Über mehrere Tage ist das Lied immer wieder bei mir auf der Matte gestanden. Da habe ich ihm den Gefallen getan und bei mir zu Hause eine Vocal/Piano-Version in Bild und Ton aufgenommen. So hat es angefangen.

Kurz darauf kam die Einladung, beim ersten Stream aus dem neuen KulTürBüro mit einigen Songs dabei zu sein (Danke Roland und Michaila!). Über die inflationäre Entwicklung beim Streaming und ihre Folgen ließe sich jetzt ein eigener Blogartikel schreiben, Fakt ist, ich habe damals mit Freude zugesagt. Endlich war mal wieder ein Programm vorzubereiten und etwas zu rekapitulieren, denn ich hatte einen Termin. Wie sich die Zeiten seit dem ersten Absatz geändert haben, erstaunlich!

Die Beschäftigung mit meinen Kreationen hat Spaß gemacht und gut getan. Halt, Struktur und Sinn frei Haus, mehr davon!

Dann hatte ich es kristallklar vor Augen: Mitten in der Corona-Pandemie war genau der richtige Zeitpunkt, ein Album mit meinen Songs anzugehen!

Klingt bekloppt? Ist es auch. Egal!

Zunächst musste allerdings die widerspenstige Schere im Kopf wiederholt zugeklappt werden. Schnipp: „Studiokosten, faire Gagen, Mastering…weißt du, was das kostet?! Du brauchst ein Crowdfunding, und es dauert, bis das steht!“ – Schnapp: „Nö, zahl ich selber, hab gespart.“ Schnipp: „Aber du brauchst ein Projekt, eine CD, Fotos, Promo, ein Release-Konzert, danach Booking und Konzerte…!“ – Schnapp: „Alles nö, ich brauch Musik. Meine. Jetzt.“

Als das geklärt war, habe ich mich für zehn Titel zur ausschließlich digitalen Veröffentlichung bei Spotify und Co. entschieden, sechs davon mit Band, plus vier bei mir zu Hause aufgenommene Vocal/Piano/Video-Tracks, die teilweise schon auf YouTube stehen. Bei den Bandtiteln bin ich mit einer Vorproduktion ins Studio gegangen, bei der die Spuren nach und nach ersetzt wurden: Bass und Schlagzeug gemeinsam > Lead Vocals > BG-Vocals > Horns > Gitarren / Akkordeon.

Stilistisch spiegeln die Songs Vieles, was mich musikalisch geprägt hat und ich immer noch liebe: Jazz, (New) Soul, Singer-Songwriter… Es gibt Seefahrer-Flair, swingend-selbstironische Männlichkeit à la Roger Cicero, 8 Takte Rap, ein ausführliches Beat Box-Sample, bluesigen Luxus-Soul wie bei Steely Dan, stilvolles Abkotzen, sogar einen Trance / Elektro-Track mit Four on the Floor-Bassdrum, voll auf die Zwölf. Meiner Funktion als Mega-Held der Tastenwelt war ich noch einige jazzig-poppige E-Piano-, Synth- und Orgelsolos schuldig, hier sind sie ;). Auch beim Songschreiben bin ich mutig bis größenwahnsinnig, je nach Perspektive, denn ich versuche mich im gleichen Job wie meine genialen Vorbilder und Inspirationen: Die Beatles, Supertramp, Ben Folds, Billy Joel, Quincy Jones, Burt Bacharach, Sting, James Taylor… Nur halt mit deutschen Texten, watt willste machen?

Aufnehmen wollte ich einmal mehr im Mastermix-Studio in Unterföhring. Es ist fast schon ein „Heim-Studio“ für mich. Von Ismaning aus 20 Minuten mit dem Fahrrad durch die Felder, dann steh ich im Regieraum vor dem retro Mischpult-Monster. Nicht zu toppen.

Also los!

Alle Musikerinnen und Musiker, die ich gefragt habe, hatten gleich Lust, mitzumachen. Das hatte ich gehofft, aber auch ein wenig erwartet. Die meisten kenne ich schon seit Jahren, bei manchen sind es Jahrzehnte. Die Liste liest sich wie ein Streifzug durch mein Projekt-Portfolio:

  • Andreas Keller (dr, perc) spielt Schlagzeug in meiner Band Colorbox. Außerdem sind wir Kollegen an der BFS. Wir hatten einen einzigen Video-Call, um anhand der Vorproduktionen alles zu besprechen. Dann kam er optimal vorbereitet ins Studio und hat perfekt orchestrierte Drum-Parts eingespielt. Yes!
  • Dietmar Kastowsky (ac. & el. bass) war eine Empfehlung von Andreas. Sticky Quote: „Volker, bei mir gibt es die Garantie auf den perfekten Bass-Track“. Sprach‘s und arbeitete einen von mir notierten Bass-Part so um, dass der Flow stimmte. Fachkraft at work!
  • Von meiner Münchner Lieblings-Soulband Ecco DiLorenzo And His Innersoul habe ich mir „ausgeliehen“:
    • Heinz Dauhrer (tp), Tom Reinbrecht (as), Hans-Heiner Bettinger (tb), die Innersoul-Horns, plus Axel Kühn (ts) > der 2015 bei den Aufnahmen zur Innersoul-CD Soultrain BaBaDee und beim Release-Konzert als Gast dabei war.
    • Stefan Puppele (git) lässt rhythmisch nichts anbrennen und entwickelt stilsicher geschmackvolle, zum Song passende Gitarrenparts. Ich habe ihn in seinem Heimstudio besucht, wir haben Songs und Akkorde besprochen, dann habe ich ihn in Ruhe gelassen. Am Ende hat er astreine Tracks geschickt. So war das.
    • Carolin Roth (BG-voc), Chef-„DiLorette“ und eine sichere Qualitäts-Bank in Sachen Soul- und Rock-Vocals. Zusätzlich ist Caro super kooperativ, konzentriert und bei alldem easy going. Tolle Kombi.
  • Christina Mantel (BG-voc) habe ich bei der Klavier-Revue Oh Mama! kennen gelernt. Danach war sie meine Partnerin beim Duo Alles Mensch. Christinas und Caros Blending ist super, auf Deutsch: Die klingen zusammen einfach klasse! Allein, dass sie Background hinter mir singen, treibt mir ein wenig die Schamesröte ins Gesicht, aber da muss ich durch.
  • Andreas Hinterseher (Akkordeon) kenne ich, als Hörer, von Quadro Nuevo. Stefan Gienger, Toningenieur und Teilzeit-Background-Sänger im Mastermix-Studio, hat ihn ins Spiel gebracht. Andreas hat in seinem Heimstudio meine etwas dröge MIDI-Spur von der Vorproduktion durch ein wunderbar lebendiges Akkordeon ersetzt. Aus den zwei Versionen, die er mir geschickt hatte, habe ich mir eine finale Version zusammengebaut.

Danke, dass ihr meine Songs zum Leben erweckt habt, ihr Wahnsinnig*innen, jetzt geht es ans Mischen!

Dachte ich.

Doch manchmal kommt es anders, als man denkt, manchmal kommt es ganz anders, und bei mir war es irgendwo so dazwischen. Ich konnte nämlich keine Mix-Termine ausmachen, da der Mann am Mischpult, Stefan Gienger, für längere Zeit krankheitsbedingt ausfiel.

Oje, das ganze schöne Selbstverwirklichungs-Konstrukt geriet plötzlich in Schieflage.

Nach Wochen der Desorientierung und Verzögerung ist dann glücklicherweise Stefans junger Assistent, Alexander Hubmann, in die Bresche gesprungen, um sämtliche aufgelaufenen Produktions-Kastanien des Studios aus dem Feuer zu holen. Eine davon war ich.

Schon wieder eine Lernkurve, steil wie die Eiger Nordwand! Am Ende bin ich froh, das wir uns der Herausforderung gestellt und es miteinander gewagt haben! Den Grund kann man sich, meisterlich gemastert von Ludwig Maier, ab dem 7. Januar 2022 auf allen gängigen Streaming-Portalen anhören.

Ab dann gibt es dort jeden Monat einen neuen Song, es ist quasi ein „Jahres-Album“ – na ja, bei zehn Releases nicht ganz. Wobei, wenn wir eine Location und einen Drehtermin finden, wird es noch ein Video zu einem der Band-Tracks geben (mehr dazu zu gegebener Zeit). Also elf. Immerhin.

Aber fehlt da nicht noch etwas, außer der Zwölf? Ja, denn ich vermisse im Digitalen (Streaming-) Zeitalter schmerzlich den Mehrwert, den früher das gute alte Plattencover, später dann, allerdings in einer Bonsai-Version für Menschen ab 150% Sehkraft, das CD-Booklet geboten haben. Das geht offensichtlich nicht nur mir so.

In den letzten Jahren sind die Streaming-Anbieter nicht müde geworden, Tracks mit Zusatzinfos und Gimmicks auszustatten. Vor allem Spotify tut sich hervor:

  • Mit der Funktion Canvas kann man Bilder oder einen kurzen Video-Loop von maximal 8 Sekunden an den Track koppeln – wow, echt putzig, aber: Hä???
  • Storyline liefert song-synchron kurze Erklärungen zum jeweiligen Track.
  • Unter Behind the Lyrics kann man den um einige Fun Facts angereicherten Songtext mitlesen.

Natürlich findet das alles nach Spotifys Vorgaben statt. Nicht jeder Künstler kann die kompletten Features nutzen, am Ende sind es die Klickzahlen, die darüber entscheiden, ob du in den erlesenen Club aufgenommen wirst.

Doch selbst, wenn:

  • Besetzungsangaben? Wer spielt mit und wer spielt was?
  • Produktions-Infos? Welches Studio und Equipment, wo gemastert?
  • Liner Notes (typisch bei Jazzalben)?
  • Artwork im Klappcover-Großformat?
  • Fotos von den Aufnahmesessions?

Fehlanzeige beim Streaming.

Also hat mein Homepage-Designer (sehr zu empfehlen: Hannes von Goessel von vongoessel.communication) einen Auftrag bekommen und etwas gebastelt. Jetzt habe ich eine schöne Projektseite zum Befüllen. Mit Allem, wozu ich Lust habe, unabhängig von „Followern“ oder „Klickzahlen“. Für den ersten Titel habe ich schon alles vorbereitet. Wer neugierig ist, klickt hier. Ab Januar funktionieren dann auch die Links zur Musik ;).

Killer Feature: Für Nachfragen, die Bedeutung von Textzeilen betreffend, Kommentare ohne Hass sowie Plaudereien aus dem Nähkästchen steht der Künstler persönlich zur Verfügung, gleich hier kannst du mir eine E-Mail schicken. Man kann ihn sogar anrufen und sich zu Kaffee und Kuchen verabreden – gerne mit Kassengestell statt VR-Brille, im nicht-virtuellen Raum, wo es richtig krümelt.

Wir bleiben in Kontakt.
Durch Klang und Worte!


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Hier erfährst du etwas darüber, wie das Artwork für die einzelnen Titel entstanden ist. Der Link ist auch ein Beispiel, was Newsletter-Abonnenten erwartet ;).



Bildnachweis:

„Land in Sicht“ von Sophia Gräbe
© Sophia Gräbe

Cover Artwork von Volker Giesek
© Volker Giesek | Barking Fish Music

Alle Fotos © Volker Giesek

Enas Vermächtnis
Abschiedsbrief

Volker Giesek

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