Es ist alles ein bisschen viel gerade, im Sommer 2025 kurz vor den Ferien.

Krankheit, Abschied, Tod und Vergänglichkeit gehören zur Welt, sicher.

Aber zur Zeit balgen sie sich im Familien-, Freundes- und Kollegenkreis um die Pole Position, das gefällt mir nicht und macht mich traurig.

Am letzten Wochenende ist nun auch noch mein Kollege, Lehrer und Weggefährte Max Neißendorfer gestorben.

Wir kannten uns schon sehr lange, und es kam für mich völlig überraschend. 

Er hat mich an der Jazzschool unterrichtet, als ich 19 und ein (nicht nur) musikalischer Grünschnabel war. Jazzblues, II V I-Verbindungen, Drop 2-Voicings und Repertoire standen da erstmal auf dem Lehrplan.

Man vergisst diejenigen nicht, die die Grundlagen für die eigene Persönlichkeit legen. Ganz sicher vergesse ich meine Eltern nicht. Dass sich meine musikalische Persönlichkeit entwickeln konnte, habe ich zu einem wichtigen und grundlegenden Teil Max zu verdanken.

Danke, Mann!

Max hat immer gesagt, ich sei in jenen Jahren von all seinen Schülern der einzige gewesen, der immer vorbereitet zum Unterricht gekommen ist und die kompletten Hausaufgaben am Start hatte. 

Oje, also war ich wohl ein arger Streber.

Oder sagen wir „Nerd“, das klingt hipper und sympathischer.

Natürlich kommt mir in dieser Hinsicht mein diszipliniertes norddeutsches Arbeitsethos zugute ;)), „on Top“ war ich schlicht begeistert und wollte dieses Musik-Ding unbedingt und mit Haut und Haaren (woran sich zum Glück nichts geändert hat). 

Das hat Max erkannt und mich mit den richtigen Inhalten gefüttert.

Meine Abschlussprüfung an der Jazzschool war dann am 9. Dezember 1985, meinem Geburtstag. Danach hat er mich beim gemeinsamen Essen gefragt, ob ich nicht Lust hätte, ihn an der Schule zu vertreten, wenn er durch Gigs oder Tourneen verhindert sei.

Na klar wollte ich! Gebauchpinselt und ein wenig stolz habe ich begeistert zugesagt – was für eine Ehre (und außerdem ein tolles Geburtstagsgeschenk).

Ich war jetzt also 22 und irgendwie „offiziell“ Musiker, nicht zu fassen. Ich spielte seit einiger Zeit Fusion Jazz und brasilianische Musik in „Profi“-Bands mit guten Leuten, an denen ich wachsen konnte.

Kein Zweifel, es ging los…

Max ist es somit zu verdanken, dass die Verbindung zur Jazzschool nach meinem Abschluss nicht abgerissen ist.

Heute, Jahrzehnte später und als Lehrer / Dozent an der Jazzschool und ihrer BFS weiß ich das sehr zu schätzen.

Gerade sehe und höre ich uns in Raum 8 in einer Prüfungspause gemeinsam lachen. Was heißt lachen, mit Max konnte ich mich regelrecht beömmeln, denn wir hatten beide einen ausgeprägten Sinn für comichaften Humor, und er konnte hervorragend Witze erzählen (im Gegensatz zu mir, der sich nie an sie erinnern kann…).

Dann war er völlig befreit, eine 14-jährige Knalltüten-Seele im Körper eines gereiften Mannes – großartig, so wie ich, genau mein Ding. 

Ich konnte mich manchmal aber auch über ihn und seine Schroffheit ärgern, wenn sein Ego mit ihm durchging und Kommentare zu Menschen und Dingen einen leicht ätzenden Einschlag bekamen. Oder die Begrüßung am Telefon wegrationalisiert wurde, so dass er und sein Anliegen mit der Tür gleich ins Haus fielen. Einmal haben wir uns gestritten, aber danach ist er zu mir gekommen, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen, das hatte Größe!

Als Zuhörer oder Mitspieler habe ich vor allem seinen virtuosen, kreativen, mega-präsenten und humorvollen Scat-Stil bewundert. Im vergangenen Jahr hatte ich das Vergnügen bei zwei Konzerten, die er als Sänger gegeben hat, am Klavier zu sitzen. Dabei war er in seiner Stilrichtung selbst ein mit allen Wassern gewaschener Jazzpianist.

Auch hat Max mir manchmal Gigs vermittelt, die er nicht wahrnehmen konnte oder wollte. Gerade vor einigen Wochen habe ich aus diesem Anlass eine alte Audioaufnahme gehört, auf der er mich coacht, damit ich ihn bei einer musikalischen Lesung (von „Der alte Mann und das Meer“ mit dem Schauspieler Friederich von Thun) vertreten kann. Er tut dies in aller Ruhe, zugewandt, entspannt, auf Augenhöhe; er vertraut mir, das tat und tut gut. 

Diese Aufnahme werde ich sehr gut aufbewahren. 

Sie ist in der Cloud gespeichert, und irgendwo auf einer Wolke sitzt jetzt wahrscheinlich auch du, Max, zusammen mit deinen großen Heros Oscar Peterson und Mulgrew Miller am Klavier, und ihr zeigt euch gegenseitig coole Licks und freut euch, dass ihr keine Steuererklärung mehr machen müsst. 

Meine Gedanken und mein Gedenken an dich sind nicht wolkig oder nebulös. Du hast einen sehr konkreten Platz in meiner Erinnerung und, auch wenn das jetzt schnulzig klingt, in meinem Herzen. 

Geigen, jetzt!

Schön, dass du da warst, Max. 


Max Neißendorfer: voc | Barbara Mayr: voc | Franz-David Baumann: tp | Stefan Schreiber: ts | Carsten Gnettner: b | Stephan Eppinger: dr | Volker Giesek: p

Perfektionismus und Impostor-Syndrom – das perfekte Paar
Alles, was ich weiß | Performance-Video

Volker Giesek

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