Ich erinnere mich noch genau, wie wir in der warmen Nachmittagssonne dösen, auf der Liege hinterm Haus:

Wir, das sind eine auströpfelnde depressive Episode, ein Wannabe-Künstler, eine Handvoll Selbstzweifel, nicht zu vergessen der rau-graue Felsbrocken steinerner Müdigkeit, den ich seit neuestem überall mit hin schleppe, und ich.

Dass es nicht zu eng wird liegt daran, dass all diese Dinge Platz sparend in mich hinein gekrabbelt sind. Sogar ich in mich selber. So sind wir für alle unsichtbar, und das tut gerade gut.

Dumm nur, dass auch ich mich auf diese Art nicht mehr finden kann…

Nein, ich mag mich in diesem Frühsommer 2009 nicht.

Ich weiß zwar genau, welchen Volker ich mögen würde, kann ihn aber nirgends entdecken, so dass ich mich auf den Weg zu ihm machen könnte.

Ich habe gerade mein 10-jähriges Engagement als Musikalischer Leiter am E.T.A.-Hoffmann-Theater Bamberg aktiv beendet. Die Gründe dafür würden einen eigenen Blog-Artikel füllen. Kurz gesagt hatte sich mein innerer Künstler gemeldet und protestiert, weil er sich ungeliebt, ungebraucht, missachtet und dem schnöden Mammon geopfert fühlte.

Ferner war ich schon 2007 dem Ruf der Berufsfachschule für Pop Rock Jazz München (BFS) als Dozent gefolgt. Nun ist es sicher eine Kunst, gut zu unterrichten, auch erfordert es einiges an Kreativität. Aber war ich nicht mit dem hehren Ziel Musiker geworden, Dinge in die Welt zu setzen, die da vorher nicht waren? Wollte ich nicht kreativ sein, um mit Tönen und Worten Bleibendes von Wert zu schaffen?

Du und ich kennen die Antwort.

Wie ich nun unnütz im Frühsommer-Nachmittag herumliege, habe ich das Gefühl, dieser Kern der Sache liegt weit hinter den Gipfeln der Vogesen bei den sieben magischen Wesen unter einer braunen Schlamm-Lawine begraben. Ich fühle mich außer Stande dorthin zu reisen, ihn freizulegen, vom Schmutz zu befreien und meinen Schatz wieder an mich zu nehmen.

Rückblickend weiß ich: Alles halb so wild, ich befand mich lediglich im Übergang zwischen zwei großen Lebensabschnitten, in einer Art Niemandsland.

Vielleicht warst du auch schon mal dort und kennst es.

Das Alte trudelt in dir noch eine Weile aus, aber du spürst bereits, dass vertraute Denkmuster, die dir Sicherheit gegeben haben sowie Annahmen über deinen Platz in der Welt unter veränderten Voraussetzungen – subjektiven (weil du dich veränderst) oder objektiven (weil sich die Welt verändert) – nicht mehr funktionieren. Etwas, das dir Richtung und neuen Fokus gibt, ist aber noch nicht in Sicht.

In diesem Zustand ist Veränderung nicht Notwendigkeit und Chance, sondern diffuse Bedrohung,

Der Versuch, dem Neuen nach alten Maßstäben Sinn zu geben, führt zu Verunsicherung und Verwerfungen. Ähnlich zweier Kontinentalplatten, die sich ineinander verhaken und so lange Spannung aufbauen, bis diese Spannung sich löst.

Manchmal bemerkst du nur ein leichtes Rütteln. Im schlimmsten Fall verlierst du den Halt, weißt nicht mehr, wo oben und unten ist, Gedankengebäude stürzen ein und du bist hinterher eine ganze Weile mit Aufräumen beschäftigt.

Aber das Aufräumen lohnt sich, danach ist alles wieder schön, glaub mir.

Das klingt schlau und ist es auch. Aber darauf kann ich mir nichts einbilden, denn hinterher ist man immer schlauer und erkennt im Draufblick auf sechs Jahrzehnte Leben das eine oder andere wiederkehrende Muster.


Doch zurück zur Geschichte:

Wie ich also samt meiner ungebetenen Gäste so vor mich hin döse, kommt meine Frau um die Hausecke und sagt, sie würde sich jetzt die Kunst-Ausstellung im Pavillon des Ismaninger Schlossparks anschauen, ob ich nicht mitkommen wolle.

Ich aber bin offiziell zu müde und zu erholungsbedürftig, inoffiziell zu träge, feige, egozentrisch und zu sehr Schatten meiner selbst.

Ich verneine.

So weit kommt das noch, dass ich mir jetzt anschaue, wie jemand seine Kreativität lebt, wo ich es selbst nicht auf die Reihe kriege.

Lieber noch eine Weile unwürdig rumhängen, dem todbringenden Blubbern giftige Dämpfe ausstoßender Geysire lauschen (oder ist das nur der Bach, der durch unsere Wohnanlage fließt?) sowie bei den in einiger Entfernung zu Bruch gehenden Volker Giesek-Büsten mitzählen, die sich kommende Generationen nicht mehr ins Regal oder auf das Klavier stellen werden (oder befüllt da lediglich jemand den Altglas-Container?).

Alles ist so weit weg. Ich bin so weit weg.

Dann kommt meine Frau zurück, sie ist ganz aufgeregt, fast schon euphorisch.

„Schatz, das musst du dir unbedingt anschauen, die Ausstellung ist wunderschön! Das gefällt dir, 100%-ig. Ich komme gerne noch mal mit. Na los, du musst einfach!“

Einfach, einfach, als wenn hier irgendetwas einfach wäre…

Aber Annette meint es (mal wieder) gut mit mir, und Hilfe soll man annehmen. Also denke ich „Wie lieb von ihr, sie will mich auf andere Gedanken bringen und sanft Richtung Kunst und Licht stupsen“, und erhebe mich mitsamt Ballast.

Denn sie hat ja Recht:

Das Licht am Ende des Tunnels kann nur sehen, wer aufhört gegen die Wand zu laufen und in die richtige Richtung schaut.

Annette beschreibt mir auf dem Weg ein paar Kunstwerke. Ich bin gespannt…

Wir kommen an und öffnen die Tür. Wie sich erweisen sollte, in mehrfacher Hinsicht…


[Den folgenden Abschnitt habe ich weitgehend aus meinem Artikel Worte zum Sonntag übernommen, denn er beschreibt die Ereignisse in der Ausstellung sehr genau.]

Mein Blick fällt direkt auf das erste Kunstwerk in der Mitte des Raumes:

Abstrakt und von entwaffnend schlichter Schönheit. Kugeln, weiche, geschwungene Formen, irgendwie an Japan erinnernd, gegensätzliche Materialien, Rost und Porzellan, Ying und Yang?

Pure Ästhetik und Klarheit.

„Klick“, hier brauche ich keine Erklärungen, es trifft mich etwas auf genau meiner Wellenlänge.

Hm. Toll.

Ich schleiche um die Werke.

Bleibe stehen. Betrachte. Schweige.

Noch mal zurück. Genauer hinschauen.

Herrlich. Das alles hat einen „Klang“.

Ich werde ruhig und fühle mich getröstet.

Von meinen inneren Stinkstiefeln ist kein Mucks zu hören.

Schon schwappt eine Welle zart prickelnder Inspiration über mich und ich sage mit gedämpfter Stimme zu meiner Frau: „Also ich könnte sofort los komponieren.“

Doch bevor Annette etwas entgegnen kann, höre ich jemand anderes fragen:

„Soll ich Ihnen etwas zu den Werken erklären?“ (Die Künstlerin hat sich angeschlichen.)

„Mein Mann sagt gerade, er könnte sofort los komponieren. Er ist nämlich Musiker.“ (Annette hat geplappert.)

„Jetzt wird es peinlich“, denke ich, denn in Sachen beruflicher Selbstdarstellung bin ich eher schüchtern. Das ist sympathisch und sehr dämlich.

Die Dame jedoch, sie heißt Ulle Schmidt-Ibach, schaut mich schelmisch blinzelnd an:

„Ja, dann machen Sie das doch!“

Einfach so.

Kein Dünkel, keine Irritation, keine Peinlichkeit, keine Schere im Kopf. Statt dessen eine Einladung zum Spielen. Es ist eine Gratis-Lektion in Sachen künstlerischem Mindset, obendrein in einem einzigen Satz, Respekt!

Aus der kleinen Reisegruppe, die sich auf den Weg zur Ausstellung gemacht hatte, sind nur noch Annette und ich übrig, die Nörgler haben sich verabschiedet.


Ulle gibt mir einen Katalog mit, der viele Abbildungen ihrer Kunstwerke enthält, von denen ich einige auch in der Ausstellung gesehen habe.

Wir einigen uns darauf, dass ich mir zunächst drei von ihnen aussuche, sie „vertone“ und Ulle das Ergebnis in ihrem Atelier in Garching (praktischer Weise eine Nachbargemeinde von Ismaning) präsentiere.

In den nächsten zwei Wochen komponiere ich Klaviermusik zu den Bildern Farbraum, Traumbewegungen und Urknall und nehme sie bei mir zu Hause auf.

Dann fahre ich nach Garching, um das Ergebnis zu präsentieren. Ulle hat die schöne Idee, dass ich nicht verrate, zu welchem Bild das jeweilige Stück entstanden ist. Gesagt, getan.

Sie hört aufmerksam zu. Ich bin gespannt, wie die Musik ankommt…

Schon zwischen den Stücken kommen positive Signale. Am Ende lächelt sie wie jemand, dem gerade etwas großen Spaß macht, und ordnet alle drei Stücke den richtigen Bildern zu.

Es hat funktioniert! Wir freuen uns beide.


Vom Erfolg unseres Experiments beflügelt meint Ulle, ich könne mir gerne noch mehr zum Vertonen aussuchen, mich auch in Atelier und Wohnung umschauen. Da muss ich nicht lange überlegen!

Wir schmieden einen Plan: Die entstandenen Kompositionen wollen wir samt der zugehörigen Bilder bei zwei Kunst-Abenden vor geladenen Gästen in der Stadtwohnung von Ulle und ihrem Mann, in der Thierschstraße in München, unter dem Namen Tonbilder – Bildvertonungen präsentieren. Ulle will sich überraschen lassen und die übrigen Musiken erst kennenlernen, wenn ich sie dort vorstelle.

Das war es, was ich gebraucht habe!

Kein Zensor, kein Nachbessern, keine Kompromisse, kein Geld, die Währung ist eine andere – welcome back, Kern der Sache.

Was soll ich in den Vogesen, wenn der Ismaninger Schlosspark und Garching reichen?

Insgesamt werden es dann zehn Tonbilder. Manchmal inspiriert mich der Titel und das Dargestellte. Gerade bei den abstrakten Bildern gehen meine Gedanken auf Wanderschaft…

Herrlich, maximale Freiheit!

Ich muss keine Erwartungen erfüllen, nicht mal meine eigenen. Habe ich schon einmal den Kern der Sache erwähnt? Ach ja, tatsächlich, da oben…


Das alles ist zwar nicht zu schön, um wahr zu sein, aber zu schön, um nur an zwei Abenden als flüchtiges Ereignis in der Welt gewesen zu sein.

Ich finde, es braucht einen dauerhaften, zeitgemäßen und wertschätzenden Rahmen.

Deshalb kommt das Projekt jetzt noch einmal zur Welt und, wenn du magst, zu dir.

Diesmal als digitale Veröffentlichung in Bild und Ton:

  • 2024 werde ich jeden Monat ein neuesTonbilder-Video auf YouTube hochladen.

    So kann man ein Kunstwerk anschauen (ablenkungsfrei im Vollbildmodus stelle ich es mir vor) und dabei die passende Musik hören.

    Ich füge den Video-Beschreibungen auch einen Link zu einem Noten-PDF hinzu, falls jemand vom Fach ist und sich dafür interessiert.

  • Gleichzeitig wird die Musik auf Spotify und Co. erscheinen, mit dem Kunstwerk als Cover und Spotify-Canvas.

    Begleitend erstelle ich auf Spotify eineTonbilder-Playlist, die jeden Monat um einen Titel wächst.

Wenn du keinTonbild verpassen willst, abonniere meinen YouTube-Kanal und/oder folge mir und der Tonbilder-Playlist auf Spotify oder auf dem Streaming-Dienst deiner Wahl.

Da es ursprünglich nur zehn Tonbilder waren, habe ich zwei Mal den umgekehrten Weg beschritten und zur Musik ein passendes Bild von Ulle gefunden. Die Video-Beschreibungen geben darüber Auskunft und enthalten weitere Infos zu Werk und Musik.

Viel Spaß mit den Tonbildern von Ulle und mir!


Los geht es mit diesem Kollegen, der schon 2009 dabei war, leicht zu erkennen als Fröhlicher Käfer.

Ulle und ich 2017 bei der Präsentation der CD Inseltage meiner Band COLORBOX, einem weiteren von insgesamt vier gemeinsamen Projekten.

Für das Cover und Booklet hatte sich Ulle von jedem Track zu einer japanischen Tuschezeichnung inspirieren lassen.

Wenn dich die Geschichte hinter dieser Album-Produktion interessiert, klicke hier und lies meinen Blogartikel Worte zum Sonntag (dem 12. Februar 2017).

Alle Kunst-Bilder dieses Artikels © Ulle Schmidt-Ibach

Foto von Ulle & Volker: Privat

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